Wie geht eigentlich ein nachhaltiger Alltag? Darum dreht sich alles in unserer Reihe Eine Frage der Nachhaltigkeit. Und lohnt sich diese Nachhaltigkeit überhaupt im großen Kontext? Das war meine Frage #4 an Rachel Suhre von MamaDenkt.
Hier kommt ihre Antwort:
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Liebe Alex, mit deiner Frage der Nachhaltigkeit zum heutigen Dienstag hast du es mir echt schwer gemacht. Wie soll man was in Worte fassen, für das einem so sehr das Herz brennt? Du hast gefragt: „Was spielt es denn für eine Rolle, wie du oder ich einkaufen und leben? Ist das nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?“ Macht es wirklich, WIRKLICH Sinn, seinen kompletten Alltag auf den Kopf zu stellen, damit es ein nachhaltiger Alltag wird? Wenn alle anderen es weiterhin anders machen? Wenn alle anderen weiterhin nicht darauf achten, wieviel Kunststoffverpackung in den gelben Sack wandert? Wenn Politiker das Thema ignorieren?
Macht ein nachhaltiger Alltag Sinn?
Ich kenne diese Frage sehr gut, liebe Alex. Vor allem stellt sie sich immer wieder, jedoch in anderen Zusammenhängen. Bioerdbeeren kaufen, um ein Zeichen zu setzen? Auf Fleisch verzichten, um sich gegen Massentierhaltung zur Wehr zu setzen? Eine Stunde früher aufstehen, um mit dem Rad und nicht dem Auto zur Arbeit zu fahren? Wenn alle anderen weiterhin mit ihrem Zweit- oder Drittwagen zur Arbeit düsen, den Smoothie aus der Plastikflasche schlürfen, achtlos in die Hecke aus dem Autofenster werfen und in der Mittagspause ihren abgepackten Salat mit Hähnchenfiletstreifen verzehren?
Ich weiß, meine Ausführungen sind grenzwertig. Denn erst Samstagabend, bin ich allein, also mit fast leerem Auto, nochmal losgefahren, um mir vier Dinge aus dem Supermarkt zu besorgen, auf die ich das Wochenende doch einfach mal hätte verzichten können. Oder? Ja! Hätte ich. Und ja, mein schlechtes Gewissen regt sich immer noch.
Ich kenne diesen Schweinehund, der mich manchmal davon abhält, unseren Alltag in allen Bereichen auch konsequent nachhaltig umzusetzen. Aber vor gar nicht langer Zeit habe ich entschieden, es gut mit mir und uns zu meinen. Nicht zu streng zu sein, zählt dazu. Und ja, ALLEINE kann ich die Welt weder retten, noch zu einem besseren Ort machen. Aber wenn nicht ich bei mir anfange, wer dann? Wer übernimmt diesen Part? Aber, um meine Ausführungen mal auf den Punkt zu bringen und von dort aufzufächern:
Ein nachhaltiger Alltag macht Sinn! Er lohnt sich.
Warum ich das glaube und was mich dazu veranlasst, trotz der angeschnittenen „Widrigkeiten“ (Politiker steigen aus, ignorieren Petitionen, jeder macht, was er will) mich für Nachhaltigkeit stark zu machen, versuche ich im folgenden mal etwas strukturierter auf den Punkt zu bringen.
Ich hoffnungsvolle Realistin, ich meine Idealistin,
bekomme immer wieder das Feedback, doch ziemlich pink und bunt in die Welt zu schauen und gleichzeitig auch viel zu düster und mit einem Hang zum Drama Dinge zu sehen. Widersprüchlich? Aber ja, so ist das in unserer Welt.
Vor gar nicht langer Zeit wurde mir klar, das stimmt: Ich bin sehr skeptisch, sehe Dinge düster, aber ich will ganz unbedingt das Beste daraus machen. Mich einsetzen. Themen auf den Tisch bringen, die vielen anderen egal sind oder die sie einfach nicht auf dem Schirm haben.
Ich kann euch nicht sagen woher das kommt, doch meine Grundhaltung gegenüber dem Leben ist hoffnungsvoll, wenngleich ich weiß, dass wir am Abgrund balancieren. Insbesondere nachdem ich mir Dokus wie Plastic Planet oder Chasing Coral angeschaut habe. Mir ist bewusst, dass wir Menschen nicht mehr allzu viel Zeit haben, wenn wir das Rennen gewinnen wollen. Wenn uns das Leben auf diesem Planeten wichtig und wertvoll ist, dann werden wir die Beine in die Hände nehmen und loslegen müssen. Und wenn nicht wir „Erwachsenen“, wer denn dann? Unsere Kinder, die viele von uns eher selten zu Wort kommen lassen?
Verantwortung gegenüber unserer Nachwelt
Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die nach uns auf diesem Planeten leben werden – müssen. Wenn ich mir vorstelle, dass wir ihnen einen Erdball hinterlassen, der zugrunde gewirtschaftet wurde, dessen Ressourcen bis aufs Letzte geplündert wurden, dann macht mir das mein Herz schwer. Und ja, ich gehe tatsächlich davon aus, dass davon meine Kinder spätestens meine Enkel und Urenkel betroffen sein werden.
Und ja, ich glaube auch, dass ich daran alleine nichts ändern kann. Und ob rechtzeitig, das weiß ich auch nicht. Aber ich für mich, möchte mir nicht sagen lassen, dass ich es doch hätte anders machen können. Wenn ich mal die Frage gestellt bekommen werde, „Was hast du dagegen getan?“, dann möchte ich antworten können, dass ich mein Bestes gegeben habe und es mir aus tiefster Seele leid tut, wenn es nicht gereicht hat.
Ich weiß, dieser Punkt überzeugt nicht jeden, weil jeder ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Verantwortungsempfinden hat. Auch die Tatsache, ob ich Kinder habe oder nicht, mag eine nicht zu unterschätzende Rolle hierbei spielen. Doch meine Verantwortung und die Zukunft meiner Kinder treiben mich massiv an.
Nach mir die Sintflut
Für mich ist es immer wieder erstaunlich zu beobachten, dass meine Ausführungen ganz oft geteilt werden. „Ja, das stimmt. Das ist schon schlimm.“ Doch darüber hinaus geschieht nichts. Verzicht scheint eine verpönte Sache zu sein und einen Menschen persönlich dann doch nicht zu betreffen. Man beschwert sich über das, was sich große Unternehmen in der Automobilindustrie oder auch Milchindustrie leisten. Mit dem eigenen Lebensstil oder Alltag hat das dann jedoch nicht wesentlich mehr zu tun, als dass in der Diskussion mit dem Finger auf die anderen gezeigt wird.
Um zu zeigen, dass es anders geht, muss ich bei mir selber anfangen. Ich habe keine Lust darauf, den Gedanken „Nach mir die Sintflut, ist mir egal, was mit diesem Leben geschieht.“ an meine Kinder weiterzugeben. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass ein Mensch überhaupt dieser Ansicht sein kann. Also lebe ich Nachhaltigkeit, Minimalismus und Verzicht vor.
Butterfly Effect
Die ersten Gründe sind sehr persönlicher Natur. Sie haben viel mit meiner Persönlichkeitsstruktur zu tun. Der nächste Punkt, der mich darin bestärkt, dass ein nachhaltiger Alltag sinnvoll und wertvoll ist, ist der, dass ich davon überzeugt bin, dass jede meiner Handlungen Auswirkungen hat – ähnlich wie der Schmetterlingseffekt beim Wetter. Denn ähnlich wie beim Wetter oder in Systemen (Gruppen, Familie, Gesellschaft) bedingen sich die Wirkungen und Wechselwirkungen jeweiliger Handlungen und Verhaltensweisen gegenseitig. Alles hat eine Auswirkung und ist dynamisch. Wie kann ich dann aufgeben nachhaltig zu leben?
Wenn ich Nachhaltigkeit nicht zum Thema mache, weil ein Großteil nicht mitzuziehen scheint und alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, dann kommt es auch nicht auf den Tisch.
Wenn ich Nachhaltigkeit zum Thema mache, dann werde ich mich mit Menschen unterhalten. Wir werden diskutieren, die Menschen werden über meine Nachhaltigkeit nachdenken. Dadurch, dass mein Gedanke ausgesprochen wird, ist ein nachhaltiger Alltag zumindest schon mal in den Köpfen. Die Erfahrung lehrt, zumindest uns als Familie, dass unser Umfeld uns beobachtet. Es fragt nach, schaut zu, wägt ab und probiert letztlich vielleicht sogar mal aus. Klar, es ist oft nicht bequem. Kürzlich habe ich an eine der Omas ein Geschenk zurückgegeben, weil es mir zu viel Plastikgerät war. Natürlich war die Atmosphäre blöd. Und natürlich habe ich mich im Vorfeld gefragt, lasse ich es darauf ankommen? Versuche ich die Konfrontation zu vermeiden? Ich hatte mich für letzteres entschieden, doch dann kam tatsächlich die Nachfrage, warum ich denn das neue Teil nicht benutzen würde? Worauf ich hinaus will: Unsere Eltern beispielsweise haben begonnen unseren Lebensstil nicht nur zu hinterfragen, sondern ihm Einzug in ihre vier Wände zu gewähren. Erstaunlich, oder? Wenn es im Kleinen funktioniert, wieso nicht auch im Großen?
Ja, da kommt die hoffnungsvolle Idealisten durch.
Wenn ich Nachhaltigkeit zum Thema mache und auch noch lebe, verstärke ich den möglichen Einfluss, den sie auf das Leben der anderen haben könnte. Man kommt nicht mehr an mir vorbei, die versucht ohne Plastik in der Küche auszukommen. Die versucht den Plastikmüll auf ein Minimum zu reduzieren und im Badezimmer nur noch mit dem Nötigsten auszukommen versucht. Und plötzlich eröffnet da noch ein Unverpackt Laden in der Nähe.
Mein nachhaltiger Alltag wirkt NICHT wie ein Tropfen
In Wirklichkeit steckt eine geballte Ladung in ihm. Wie heißt doch gleich das Zitat vom Dalai Lama und der Mücke?
Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.
Ich bin eine Mücke? Na ja, nicht ganz. Aber ich fühle mich nicht selten viel zu klein, um die Welt zu fairändern. Und dann ist da diese Mücke, die jeder hört, sobald es still wird und wir in uns gehen.
Ein klarer Blick dank Minimalismus
Ich will das so.
Meine Überzeugung davon, dass unser nachhaltiger Alltag nicht nur uns persönlich, weil gesünder und weniger Schadstoffbelastet, sondern auch anderen zugute kommt, ist sehr groß. Ich weiß, wie richtig und wichtig ist, was ich tue. Und das Wichtigste, ich will es so.
Unser Leben ist durch unser Reduzieren und den Minimalismus an vielen Stellen sehr viel einfacher und in der Konsequenz auch wesentlicher geworden. Wir wollen so leben, weil wir erlebt haben, dass es uns gut tut. Es unterscheidet uns in vielen Alltagsbereichen, aber mit diesen Unterschieden können wir gut leben. Das macht es einmal mehr einfacher, diesen nachhaltigen Alltag als Familie umzusetzen. Obwohl eine Politikerin einen Schauspieler stehen lässt, der zigtausend Unterschriften gegen die Verschmutzung der Ozeane gesammelt hat. Oder trotz eines Trumps, der aus dem Klimaabkommen aussteigt.
Das tut mir leid. Es ärgert mich und ich bin ab und an verzweifelt. Oft kann ich diese Umstände nicht verstehen, doch das hält mich nicht ab, weil die Erkenntnis und die Überzeugung von diesem möglichen einfachen und bewussten Leben so viel mehr wert ist.
Oh, Danke von ganzem Herzen für diese Antwort, liebe Rachel. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir mit deinen Worten aus der Seele sprichst!
Lass uns gemeinsam Mücken sein!
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Und in der Zwischenzeit kommt hier noch deine Frage #5 an mich:
Das war lang und viel. Ich weiß. Doch so ist es mir im Vorfeld auch ergangen. Ich musste das in seiner Gänze aufschreiben.
Liebe Alex, jetzt du. Meine Frage, die mir zu Beginn meines Artikels immer wieder im Kopf schwebte: Mal angenommen, ihr hättet ein Auto, das von einem Unternehmen produziert wurde, das Nachhaltigkeit sehr zweifelhaft umsetzt, wie stehst du dann zu deinem Fahrzeug? Verkaufst du es? Oder behältst du es? Es geht mir bei der Frage weniger um das Auto. Mehr darum, was du machst, wenn sich einer deiner Lebensbereiche als nicht nachhaltig herausstellt, obwohl du davon vorher ausgegangen bist? Wie sortierst du das? Wie gehst du mit solchen Momenten um? Mir ist das schon mehr als einmal passiert. Und ja, es entstand Frust.
Was mach ich denn dann damit? Was machst du?
Und schon wieder eine tolle Frage und meine Antwort darauf findet ihr bei MamaDenkt.
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Tipps zum Weiterlesen:
- Hier stellt sich Rachel im Startartikel unserer Reihe eine Frage der Nachhaltigkeit vor
Ein Klasse-Statement, mit Herzblut und Überzeugungskraft. Danke, Rachel und Alex! Lieben Gruß Ghislana
Danke liebe Ghislana ! Manchmal ist es einfach an der Zeit für klare Worte!
Einen lieben Gruß zurück
Deine Alex
Hui Ghislana! Danke für das Feedback. Deine Beiträge auf anderen SocialMediaKanälen fand ich jedesmal sehen aussagekräftifg und motivierend. Was würdest du noch ergänzen?