Was ist für euch eigentlich Dogmatismus?
Ist man automatisch dogmatisch, wenn man Dinge, die einem am Herzen liegen mit Leidenschaft und Nachdruck nach außen vertritt? Bin ICH beim Thema Nachhaltigkeit dogmatisch? Vor ein paar Wochen habe ich einen Facebook-Post und einen Text bei Nora Imlau gelesen, der mich ziemlich zum Grübeln gebracht hat. Darin ging es zunächst um den Boykott von Nestlé und schließlich um eben dieses Wort. Dogmatismus. Und deshalb lautete meine Frage der Nachhaltigkeit an Rachel Suhre von MamaDenkt vor zwei Wochen auch: Wie ist das denn mit dir, Nachhaltigkeit und Dogmatismus?
Und ich bin schon wahnsinnig gespannt auf ihre Antwort. Ihr auch?
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Liebe Alex, wie grün darf es sein? Wie grün und nachhaltig darf ich sein, ohne dass mein Gegenüber mir vorwirft dogmatisch zu sein? Deine Frage der Nachhaltigkeit hat mal wieder voll ins Schwarze getroffen. Schon seit letztem Jahr muss ich immer wieder darüber nachdenken, wie das bei mir eigentlich so ist? Bin ich dogmatisch grün? Erhebe ich den grünen Zeigefinger, um meine Umwelt „auszuschimpfen“?!? Will ich Nachhaltigkeit um jeden Preis?
Nachhaltigkeit um jeden Preis – macht das Sinn?
Du hast mir vor zwei Wochen folgende Frage gestellt: „Hältst du dich beim Thema Nachhaltigkeit für dogmatisch? Muss man nicht vielleicht bei Dingen, die einem wirklich wichtig sind, ein bisschen dogmatisch sein? Und was genau bedeutet das eigentlich überhaupt für dich?“
Du hast in dem Zuge einen Text von Nora Imlau erwähnt, in dem es um Dogmatismus geht. Den habe ich mir gleich mal durchgelesen und festgestellt, dass ich den Inhalt sehr, sehr ähnlich sehe.
Dogmatismus macht im Umgang und in der Beziehung mit Menschen keinen Sinn – glaube ich – weil dogmatisch sein erst einmal Ablehnung hervorruft. Das wiederum finde ich persönlich total logisch, weil es beim Dogmatismus nicht um die Person, sondern um die Sache geht. Das ist abschreckend und löst auch erst einmal Gegenwehr aus. Das bedeutet dogmatisch sein für mich.
Dogmatismus in Sachen Nachhaltigkeit ist kontraproduktiv
Verfolge ich Nachhaltigkeit um jeden Preis und ausschließlich, um der Nachhaltigkeit willen, um ein grüneres Leben zu praktizieren oder dem Müll ein Ende zu bereiten, dann gewinnt das Risiko, dass meine Leidenschaft nach hinten losgeht, an Wahrscheinlichkeit dazu. Nachhaltigkeit um jeden Preis, welche die Menschen nicht mitnimmt, lässt sie irgendwo stehen, im ungünstigsten Fall hinter mir. Doch wie sollen wir Nachhaltigkeit dann umsetzen? Wie sollen wir sie lebbar machen, wenn Menschen ihre Notwendigkeit für ein zukünftiges Leben auf diesem Planeten nicht gezeigt und erklärt bekommen und wir alleine auf weiter Flur stehen?
Das Dumme am Zurücklassen: Nachhaltigkeit ist mir ein Anliegen wegen der Menschen. Lass ich sie zurück, sind sie nicht mehr da, um mit mir zusammen die Welt zu verändern. Vielleicht ist dieses Verlangen nach Weltverbesserung für die Menschen und für das Leben auf diesem Planeten ja der Punkt, der dich zu der Frage führt: „Muss man nicht vielleicht bei Dingen, die einem wirklich wichtig sind, ein bisschen dogmatisch sein?“
Ein brennendes Herz ist nicht Dogmatismus
So, und jetzt befinden wir uns an dem Punkt, an dem ich mir nicht sicher bin, ob Nora Imlau und ich einer Meinung sind.
Es gibt Verhaltensweisen, die dazu führen, dass andere Menschen zu schaden kommen. Diesen Schaden abzuwenden, hat für mich nichts damit zu tun, dogmatisch zu sein. Natürlich bietet diese Formulierung viel Interpretationsspielraum. Und ja, es gibt dann plötzlich kein schwarz und weiß mehr, sondern jede Menge Grautöne.
Genauso gibt es Verhaltensweisen mittels derer wir Menschen unser zukünftiges Leben in Gefahr bringen. Wir gehen sogar soweit das Leben auf diesem Planeten unmöglich zu machen. Mit welcher Begründung? Nun ja, wirtschaftliche Interessen und politische Umstände leiten uns vermutlich in erster Linie. Auf lange Sicht planen wir die jedoch nicht.
Auf solche Divergenzen hinzuweisen, sie mitzumachen verändern, halte ich nicht für dogmatisch. (Der Ton macht die Musik?!?) Mein Gegenüber aber vielleicht schon?
Will ich Nachhaltigkeit um jeden Preis?
Hältst du dich selber für dogmatisch in Sachen Nachhaltigkeit? Tja, eigentlich nicht und schon haben wir eine Einschränkung in meiner Antwort. Also fange ich doch nochmal anders an: Ich möchte nicht dogmatisch ein, was meinen Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit in unserem heutigen Leben angeht. Das hat mehrere Gründe:
a) Wie gesagt: Nachhaltigkeit werde ich alleine nicht umsetzen können. Ich brauche die anderen und ja, ich will sie nicht verprellen.
b) Ich erhebe nicht den großen grünen Zeigefinger, weil ich selber oft genug scheitere, was die Umsetzung von Nachhaltigkeit in unserem Alltag angeht.
c) Es gibt Momente im Leben, die Nachhaltigkeit für mich hinten anstehen lassen, weil beispielsweise eine psychische oder physische Erkrankung oder die Geburt eines Kindes oder andere Gegebenheiten sie kaum bis gar nicht möglich machen. Dogmatismus bringt da gar nichts. Zusammenstehen und nachsichtig mit sich und seiner Umwelt sein, bringen in diesen Augenblick viel mehr. Vor allem rauben sie mir nicht die Motivation weiter in die grünere Richtung zu gehen.
Die Vorwürfe der anderen
Dennoch habe ich vergangenes Jahr erlebt, dass Menschen mich als dogmatisch erlebten, obwohl ich mich selber gar nicht so gesehen habe.
Darüber müssen wir uns im Klaren sein: Was die anderen über uns denken, haben wir NICHT in der Hand. Und wenn wir einen Handstand machen, uns mit einer Grimasse an die Nase packen und gleichzeitig mit einem Grizzlybären tanzen. Ganz egal. Der andere ist ein eigenständiges System, wir können nicht verändern, wie er sich die Welt erklärt oder aber unser Verhalten zu verstehen versucht.
Ich glaube, dass das der Punkt ist, der mich immer und immer wieder hat innehalten und grübeln lassen. Natürlich kommt das Bedürfnis hoch, den anderen vom Gegenteil zu überzeugen, wider besseren Wissens.
Also nutze ich solche Vorwürfe lieber, um mich zu reflektieren und herauszufinden: War das wirklich dogmatisch? Oder nicht? Nicht immer finde ich eine Antwort und manchmal muss ich mich an die Nase packen und mein Handeln verändern. Doch viel häufiger könnte ich um einiges konsequenter sein. Bei besagtem Beispiel komme ich heute sogar an den Punkt, dass die Person einfach nicht mehr mitgehen konnte und wollte, selbst wenn ich das nie von ihr eingefordert habe. Selbst wenn ich selber wieder an einen Punkt zurückgetreten bin, weil mich das damalige Experiment zu stark gefordert hat.
Freude an Nachhaltigkeit? Auf jeden Fall!
Mein größtes Anliegen ist zu vermitteln, dass Nachhaltigkeit leben funktioniert. Auch heute. Und darauf will ich hinweisen, mit meinem Blog, mit meinen Workshops, meinen Vorträgen, meinen Blogger-Projekten oder meiner Netzwerkarbeit. Es gibt natürlichere und wertschätzendere Wege das Leben auf diesem Planeten zu gestalten. Davon zu erzählen halte ich für wichtig, nicht für dogmatisch. Vielen Dank für deine Frage, Alex. Es war mir wieder eine Freude und ich danke dir, dass ich unsere Konversation dazu nutzen kann, mein eigenes Verhalten zu überdenken.
Und liebe Rachel, mir geht es ganz genau so! Vielen Dank für deine ehrliche, vielschichtige und positive Antwort. Unser digitaler Kaffeeklatsch ist mir ein inneres Volksfest, denn du hilfst mir selbst meine Gedanken zu sortieren…
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Und um diese spannende Frage wird es in zwei Wochen bei MamaDenkt gehen:
So, und jetzt kommt noch meine Frage an dich, liebe Alex: Ich habe bei Instagram gesehen, dass du dich für deinen letzten „Kurzurlaub“ richtig gut ausgestattet hast, um unverpackt unterwegs zu sein. Warum glaubst du scheitern wir daran, unser Verhalten und Leben auf Nachhaltigkeit auszulegen und derart zu verändern, wie du es in deinem Urlaub getan hast? Gibt es dafür Gründe? Ist es Gleichgültigkeit? Beliebigkeit?
Du fragst mich nach Dogmatismus. Ich frage dich nach Gleichgültigkeit oder auch Beliebigkeit. In welchen Verhaltensweisen unserer heutigen Gesellschaft siehst du Gleichgültigkeit? Wieso fühlen sie sich gleichgültig an? Inwiefern müssen wir uns anpassen, um nicht abzuschrecken? Darauf habe ich keine Antwort, empfinde diese Gedanken jedoch oft, wenn ich versuche Dogmatismus auszuschließen. Wieviel Beliebigkeit tut gut?
Die Antwort findet ihr bei MamaDenkt. Und wer neugierig ist, warum mich die Frage „dogmatisch oder nicht“ überhaupt bewegt und beschäftigt hat, der findet die Antwort hier.
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[…] Es gibt gerade viele Menschen in meinen Feeds, die mich über alle möglichen Kanäle fragen, wie ich damit umgehe, wenn ich scheiter? (Was ja ganz offensichtlich auch der Fall ist.) Insbesondere bei der Kommunikation nachhaltiger Themen. Eine ausführliche Antwort gibt es in zwei Wochen bei Alex auf dem Blog. […]
[…] Es gibt gerade viele Menschen in meinen Feeds, die mich über alle möglichen Kanäle fragen, wie ich damit umgehe, wenn ich scheiter? (Was ja ganz offensichtlich auch der Fall ist.) Insbesondere bei der Kommunikation nachhaltiger Themen. Eine ausführliche Antwort gibt es in zwei Wochen bei Alex auf dem Blog. […]